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Die Geschichte eines Traumes

Art. 42


Swiss Highline Rekord, Jaman/Montreux CH, 2021

Ein Leben schreibt seine Geschichte, ob man sie nun schriftlich oder fotografisch dokumentiert oder nicht. Die Zeit fliegt regelrecht dahin, wenn man nicht ab und zu innehält und sich dem Moment bewusst wird. Was ansich nicht allzu schwierig ist, es gibt wohl kaum etwas, dass dem einzelnen Moment so nahe kommt, wie der einzelne  Atemzug. Und doch atme ich einfach so vor mich hin, ohne mir grosse Gedanken über das Atmen zu machen. 

 

Als ich mich in das Highlinen verliebte, habe ich quasi an nichts anderes gedacht. Für mich war es meine Bestimmung, meine Leidenschaft und mein Traum, dem alle Energie, unumstritten und voll und ganz gebührte. Es ist das Gesamtpaket am Highlinen. Die Community, das Material, die Technik, die Jugend der Sportart, die Gefühle die es in mir erweckt. So habe ich investiert, viel und mit grosser Hingabe. Ich wollte um jeden Preis besser werden, vieleicht sogar der Beste. Ich nahm rückblickend keine Rücksicht auf mich, mein mentaler und mein körperlicher Zustand. Ich sah nur mein Ziel, mein Traum, riesige Lines zu laufen. 

Vier Jahre hat das gut geklappt, mit jedem Training sah ich einen konkreten Fortschritt in meinem Können auf der Highline, jedes Projekt das ich anriss, wurde grösser. Mein Level im Highlinen hat sich ständig verbessert, ich fühlte mich unaufhaltsam, unbesiegbar und übermächtig indem was ich tat. In wirklich irrsinniges Gefühl, Stärke, Ausdauer, Stabilität, Sicherheit und Balance. Auf diesem Weg fühlte ich mich sicher und selbstbewusst. Ich dachte ich würde auf ewig fliegen bis ich eines Tages zur Legende würde. Aus der Geschichte meiner selbst und der der Anderen wusste ich, dass das auf lange Sicht nicht funktionieren würde. Aber das Gefühl und die Energie die ich auf der Highline verspürte, liessen mich die Realität ignorieren, ich wollte so lange wie möglich in meinem Traum bleiben, auf dieser Welle der Unbesiegbarkeit reiten, ohne zu atmen und ohne mich selbst zu hinterfragen. 

 

Ich habe viele neue Freunde gefunden die meine Leidenschaft teilen und mich in meinem Tun unterstützen. Es beflügelte mich all das Neue in mich aufzusaugen und es mir einzuverleiben, als hätte es kein Leben davor gegeben. Für mich existierte nur noch das Highlinen und das Slacklife als das einzig Wahre und das einzige Wichtige. Jede Stunde die ich ausserhalb der Welt des Slacklines verbracht habe, fühlte sich an wie ein Mittel zu Zweck, eine Notwenigkeit um möglichst schnell zurück in mein Traum zu gelangen. Ich gab mir, und meiner neuen Leidenschaft keine Pause, kein Atemzug der Neutralität. Ich wollte nur Träumen. Innerlich hatte ich angst vielleicht schwächer zu werden. Das Level nicht halten zu können. Also trainierte ich weiter, mit viel Hingabe, aber auch hoher Selbsterwartung.

Material organisation am projekt am Julierpass, Oktober 2021.

Meine Erwartungen wuchsen stetig, meine organisatorischen Fähigkeiten sowie mein charakteristisches Selbstbewusstsein, trugen mich zu immer grösseren Ideen und Umsetzungen neuer Abenteuer und Projekte. Ich fühlte mich so sicher wie nie zuvor indem was ich tat. Und alle Augen und Finger der Community deuteten auch mich, so schien es mir zumindest. So fing ich an mich selbst zu drängen, mehr Gas zu geben. Ich sah mich an der Spitze und redete mir ein, immer noch ein bisschen mehr zu geben, um an der Spitze zu bleiben und um noch weiter zukommen. Ich wollte weiter, höher und grösser gehen, ohne zu wissen an welchem Punkt ich mich eigentlich wirklich befinde. Es war mir auch egal, denn es lief ja gut so wie es lief. Zu gut um es zu hinterfagen. 

 

Übermut und Arroganz gegenüber Physischer und Mentaler Herausforeungen schlich sich, nicht ganz unbemerkt, allmählich in mein Bewusstsein. Ohne zu Wissen wie müde ich eigentlich war, lud ich mir immer mehr auf mine Schultern. Mehr Training, mehr Organisation und mehr Verantwortung. Ich sah mich als unverwundbar in meinem Tun, es handelte sich ja um meine Leidenschaft Slacklinen und vor allem Highlinen. Ich wollte die längste Highline in der Schweiz organisieren, aufbauen und begehen. In meinen Gedanken führte da irgendwie kein Weg daran vorbei.

 

Ein knappes Jahr habe ich mich mit dem Projket am Julierpass im Kanton Grubünen auseinander gesetzt. Alles war im Grunde komplett neu für mich. Das ganze Bewilligungsverfahren durch die verschiedenen Instanzen, die Kommunikation mit den Sponsoren, der Umgang mit meinen Freunden als erwartungsvolle Athleten.

Ich wurde for immer neue Wände gestellt, die ich mir in meinem Traum nicht vor Augen führte. Das einst relativ überschaubare Projekt am Julierpass, wurde immer komplexer und immer anstrengender. Durch das, dass Sponsoren und somit Geld im Spiel war, entwickelte sich auf enmal eine neue Art von Druck, der Druck der externen Erwartung. Davor habe ich, und nur ich, Druck auf mich ausgeübt. Auf einmal kam er überall her, so empfand ich das zu diesem Zeitpunkt zumindest. Auf einmal wurde WITHPLEASURE zu WITHPREASSURE.

Die längste in der Schweiz aufgebaute Highline, 1411m.

Das Wetter auf dem Julierpass lies mich das Projekt zweimal absagen. Weil ich innerlich nicht wirklich damit rechnete, das das Wetter ein solch grossen Einfluss auf mein Vorhaben haben würde, belastete dies mich sehr, als es es schliesslich tat. Ich wälzte mich zunehmend in Zweifel. Mit dem von mir generieten Druck und dem des Sponsoren, der natürlich eine Line, Fotos und Videos für sein investiertes Geld sehen wollte, fühlte ich mich zunehmend kleiner und meine Selbstsicherheit schmolz in der Hitze der Tatsachen. Auch wenn der Sponsor nie konkret Druck auf mich ausübte, generierte ich ihn mir selbst. Ich konnte und wollte nicht aufgeben, um keinen Preis wollte ich mir eingestehen mit  einem Vorhaben gescheitert zu sein. Mein Traum schein sich zu verflüchtigen, und dies konnte ich nicht zulassen, mein Ego riss jegliche Enegrie die ich noch hatte ansich, um um jeden Preis, dieses Projekt durchzuführen, um um jeden Preis auf dies Welle weiter zu reiten auf der ich seit vier Jahren ritt. Es zeigte sich allmählich die Realität, ich wurde müder und meine Motivation verlagerte sich zunehmend in Verbissenheit.

 

Der Oktober im 2021 kam und es war endlich soweit; gutes Wetter, alles Material und alle Bewilligungen waren vorhanden, das Team aus Freunden und Athleten waren bereit. Der grosse Tag war gekommen, der Höhepunkt meines verfolgeten Traumes war gekommen. Wir bauten eine Highline über 1400m Länge und 250m Höhe auf. Die Organisation die ein Jahr lang jeden Abend mir im Bett den Schlaf nahm, hielt und entsparch allen Anforderungen. Nun hieng sie da, die Line miener Träume und ich wusste das der Tag darauf der Tag der Begehung sein würde. Nervosität und unbehagen machte sich in meinem Körper breit als ich mich am Abend schlafen legte. In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Trotz der Müdigkeit konnte ich meine Gedanken nicht loslassen, ich malte mir alle möglichen Scenarien aus. Ich wollte einfach nur allem entsprechen, mir selbst und meinen Erwartungen, koste es was es wolle. Im vergangenen Jahr habe ich mich drei Mal körperlich verletzt, ich hatte noch nie so viel Unfälle wie im Jahr 2021. Ich war emotional, körperlich und mental, müde und ausgelaugt, mein Wille wollte von dem nichts Wissen, ich wollte nur den Send, die Begehung.

Am nächsten Morgen begab ich mich zum Anker meiner Traumline um sie endlich zu slacken. Mein Herz raste, mir war übel, dies tat jedoch nichts zu Sache, redete ich mir ein als ich auf der Line aufstand um meinen ersten Schritt zu machen. Es sah alles aus wie in meinen Träumen. Ich stehe auf einem Monster, einer Highline. Der längsten Highline die die Schweiz je gesehen hat. Die Autos schienen wie Spielzeuge, die Strasse wie ein weit entfernter Fluss. Ich sah mich in meinem Traum. 

 

Jedoch fühlte es sich nicht so an. Nicht wie es sollte. Die sonstige Leichtfüssikeit, das Gefühl als würde man fliegen, die Freiheit, war nicht da. Anstelle fühlten sich meine Beine wie versteinert an, mein Rücken schmertzte und mein Atem war knapp und unregelmässig. Ich schwitzte und zitterte, redete mir ein, das sei die Nervosität und das sich das schon nach einpaar hundert Meter legen würde. Also kämpfte ich weiter, jeder Schritt fühlte sich schwer und zittrig an. Nach vierhundert Meter war ich körperlich so müde wie in einem Training nach drei Kilometern. Und ich fiel.

 

Im Moment als ich fiel ergossen sich Enttäuschung und Frust über mich. Wut kroch in mein Bauch und ich wollte weinen. Tat es jedoch nicht und stand voller Verbitterung auf und lief weiter. In Richtung andere Seite. Mit jedem Meter entspannte ich mich ein wenig mehr. Dem Frust und den Tränen immer noch nah kam ich auf der anderen Seite an. Die Hoffung auf eine Begehnung ohne Fall auf dem Rückweg sprieste in mir. Ich fordete mich auf mich zusammen zureissen und es erneut zu versuchen. Ich machte mich auf den Weg zurück, erneut bäumte sich die riesige Line vor mir auf, in ihrer vollen Grösse und ihrer ganzen Pracht. Endlich verspürte ich Glückseligkeit und das Gefühl der Lockerheit und der Freude kehrte allmälich zurück. Ich genoss die Sonne in meinem Gesicht, das gespannte Band unter meinen Füssen und ich machte mit Katie Melua und Wonderful life auf den Weg. Nach ungefähr 700m fiel ich. Mein Rücken und meine Beine waren fast taub von der Müdikeit. Es ging einfach nicht mehr. 

 

An diesem Punkt wurde meine Blase, in der ich mich befand, geplatzt. Ich spürte das ich meine Grenze gefunden hatte, Mental wie Physisch. Ich war traurig meinen Erwartungen nicht entsprochen zu haben, jedoch auch erleichtert das es nun vorbei war. Drei meiner Freunde konnte die Highline am Julierpass ohne Sturz begehen. Ich freute mich mit Ihnen und genoss ihre Freude an dem Projekt, das ich mit all meiner Kraft aus dem Boden gestampft habe. Ich fühle ihre tiefe Zufriedenheit und Dankbarkeit. Dies gab mir Kraft und neue, gute und erfrischende Energie.

Das Wetter verschlechterte sich wider und wir bauten die Highline wider ab. 

 

Es sind nun  vier Monate seit dem Projekt am Julierpass vergangen. Erst heute fühle ich mich bereit diese Geschichte zu erzählen. Ich habe viel über mich selbst gelernt. Und nach drei Monaten ohne Slackline oder Highline kommt die Motivation langsam wider zurück. Heute weiss ich, dass ich mir fast eine geliebte Aktivität zerstört habe. Aus Gier zum Ruhm, der Anerkennung und der Drang immer noch mehr zu wollen, wurde ich blind der Freude gegenüber. Dabei ist das höchste gut, dass man wahrlich haben kann, die Freude an den Dingen ist, die man macht. Egal wie gross oder klein sie sind. Die Gewinner, die Besten oder die Grössten sind diejenigen, die aus Liebe zu sich, ihren Tätikeiten nachgehen. In ihrem Tempo und auf ihre Weise.

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